Vancouver Island – Kanadas schönstes Ende
Vancouver Island. Die meisten Leute, darunter früher auch ich, haben noch nie davon gehört. Klar, man kennt Vancouver, die große Stadt an der Westküste Kanadas. Aber gibt es da auch eine Insel? Ja, es gibt sie! Und wer zu den Glücklichen gehört, die schon da waren, wird sich sehnsuchtsvoll zurückerinnern an das Rauschen der Brandung, die salzige Luft und den Geruch des Regenwalds. Ein grandioser Fleck wildes Kanada, der jeden Besucher verzaubert, der eigentlich wegen der berühmten Rocky-Mountains-Nationalparks nach Kanada gereist ist.
Raue Strände, stille Buchten und Wald, Wald, Wald
Mit 450 km Länge ist Vancouver Island die größte Pazifikinsel Nordamerikas – und eine Welt für sich. Typisch kanadische Wildnis mit über 2000 Meter hohen Bergen, schlank aufragenden Fichten und glasklaren Seen trifft hier auf kilometerlange raue Strände, stille Buchten und undurchdringliche Küstenwälder. Abgesehen von der eleganten Provinzhauptstadt Victoria und einigen touristischen Ferienstädtchen gibt es hier nur verschlafene Fischerdörfer, Indianerreservate und Holzfällercamps. Und dazwischen Wald, Wald und nochmals Wald. Aber was für einer!
Wer nach Vancouver Island will, kommt per Fähre vom Festland. Die malerische Überfahrt von Horseshoe Bay nördlich von Vancouver bis nach Nanaimo dauert rund zwei Stunden. Am besten nimmt man einen Mietwagen oder Camper mit, denn öffentliche Verkehrsmittel sind rar. Und die schönsten Ecken liegen wie so oft abseits der großen Orte.
Bis heute führt nur eine einzige größere Straße zur wilden, regenreichen Westküste – der Island Highway 4, auch Pacific Rim Highway genannt. Wobei Highway ein sehr großes Wort ist für die Landstraße, die sich teilweise abenteuerlich durch das Küstengebirge, mehrere Wetterzonen und dichte Wälder schlängelt.
Nach drei Stunden Fahrt dann endlich am Horizont die Pazifikküste. Das gesamte Gebiet ist als Pacific Rim National Park unter strengen Naturschutz gestellt und mit seinen einzigartigen Regenwäldern, zerklüfteten Felsen und tausenden Inselchen fast unzugänglich. Ein Traumrevier für Wanderer und Kajakfahrer! Nach weiterer Fahrt entlang der Pazifikstrände, auf die man nur hin und wieder durch das Dickicht einen Blick erhascht, endet die Straße inmitten des kleinen Örtchens Tofino.
Tofino

Der kleine Ort liegt ganz am Ende einer langgezogenen Landzunge, die eine Bucht namens Clayoquot Sound formt. Der Ort hat kaum 2000 Einwohner, wächst im Sommer aber mit Touristen und Saisonarbeitern um das Zehnfache an. Surfer, Wanderer, Kajakfahrer, Whale-Watcher, Hippies, gestresste Großstädter aus Vancouver - sie alle kommen, um in Tofino Kanadas Natur von ihrer schönsten Seite zu erleben. So ist der Ort denn auch eine bunte Mischung aus Bio-Cafés und Fischrestaurants, Kunstgalerien und Outdoor-Ausstattern.
Unterkünfte gibt es für jeden Geldbeutel, direkt im Ort oder verstreut entlang des Highways. Camper bleiben am besten auf dem Bella Pacifica Campground mit traumhaft gelegenen Stellplätze direkt am Mackenzie Beach. Toll für Familien und Selbstversorger sind die typisch kanadischen Blockhütten im Crystal Cove Beach Resort,von denen manche sogar ein eigenes Baumhaus haben. Das Whalers on the Point Guesthouse ist ein preiswertes Hostel direkt in Tofino und bietet neben Backpacker-Unterkünften auch Doppelzimmer. Das Inn at Tough City ist ein ausgeflipptes kleines Hotel, erbaut aus allerlei recycelten Materialien und mit eigener Sushi-Bar. Wer etwas mehr Budget hat, gönnt sich eines der wunderschönen Strandresorts mit Meerblick. Zum Beispiel die Middle Beach Lodge oder das renommierte The Wickanninish Inn. Einfach traumhaft sind die Zimmer mit eigenem Kamin und riesigen Panoramafenstern mit Blick auf den Strand.
Kulinarisch hat Tofino vor allem eins zu bieten: fangfrischen Fisch und kreative Bio-Küche. Das Shelter Restaurant kocht mit Bio-Zutaten, Fisch von ortsansässigen Fischern und Gemüse und Kräutern aus dem eigenen Garten. Beim SOBO Restaurant steht der Name für „Sophisticated Bohemian“. Aus einem Food-Truck mit Take-Away-Snacks am Strand ist ein kultiges Restaurant entstanden, das kreative, asiatisch angehauchte Versionen von Salaten, Sandwiches, ofenfrischer Pizza, Austern und Fisch serviert. Die besten Burger gibt es in Jack’s Waterfront Pub. Für den kleinen süßen Hunger zwischendurch empfehle ich die Common Loaf Bakery mitten im Ort. Zimtschnecken, Muffins, Brownies, Carrot Cake - alles wird direkt hinterm Tresen in der offenen Backstube gebacken.
Whale Watching

Kaum ein Besucher, der nicht auch ihretwegen den langen Weg an die Westküste Vancouver Islands unternimmt: Grauwale. Zu tausenden machen sie sich zweimal im Jahr auf die 16.000 Kilometer lange Reise von den warmen Gewässern vor Baja California, wo sie ihre Jungen zur Welt bringen, bis in den hohen Norden nach Alaska. Die Whale-Watching-Saison in Tofino dauert von Mitte Februar bis Ende November und ist somit die längste von Vancouver Island. Die meisten Wale ziehen von März bis Mai und dann wieder im Herbst hier vorbei. Es gibt aber auch Grauwalfamilien, die sich das ganze Jahr über vor der Küste aufhalten. Neben Grauwalen sichtet man mit etwas Glück auch Buckelwale und Killerwale. Was für ein beeindruckendes Erlebnis, eine Gruppe "Orcas" mit ihren spitzen Rückenflossen in der Bucht bei der Jagd zu beobachten! In Tofino gibt es mehrere Anbieter für Walbeobachtungstouren. Empfehlenswert ist zum Beispiel Jamie's Whaling Station, der älteste Anbieter am Ort. Die Touren von Remote Passages sind etwas teurer, aber mit wissenschaftlichem Anspruch.
Eingepackt in dicke rote "wet suits" geht es auf wendige Zodiac-Boote. Etwas seefest sollte man schon sein, denn sobald man Vargas Island passiert hat, schaukelt das Boot im offenen Pazifik. Gebannt hält man dann Ausschau nach der charakteristischen Wasserfontäne, die die Grauwale beim Luftholen verrät. Eine Garantie für die Sichtung hat man nicht, aber die Chancen stehen gut. Die grauen Riesen nehmen die Aufregung, die um sie gemacht wird, gelassen, und so erhascht man meistens einen Blick auf den algenbewachsenen Rücken eines Wals oder eine Schwanzflosse beim Abtauchen. Daneben erfährt man von den Guides viel zum Lebensraum der Küste und des Regenwalds und bekommt Seelöwen, Robben, Seeadler und andere Seevögel gezeigt.
Bear Watching
Ein echter Geheimtipp ist das Bear Watching. Kaum jemand weiß, dass die Schwarzbären auf Vancouver Island sich perfekt an ihre Umgebung angepasst haben: Bei Ebbe kommen Sie aus dem Wald an die Küste und suchen am trockengelegten Meeresgrund nach Muscheln, Krebsen und anderem essbarem Meeresgetier. Dabei kann man sie wunderbar vom Schlauchboot aus beobachten und kommt ihnen so nah, wie es an Land nicht möglich wäre. Einmal habe ich sogar eine Bärin mit zwei Jungen gesehen, während hinter unserem Boot eine Gruppe Orcas plantschte und über uns ein Seeadler seine Kreise zog. Ein wahrer Tofino-Moment! Fast alle Whale-Watching-Anbieter am Ort bieten auch Bear Watching an, entweder als eigene Tour oder als Kombi-Paket mit Whale Watching.
Die Strände

Neben den Walen sind die weiten Strände der größte Besuchermagnet des Pacific Rim Nationalpark. Kilometerlang reihen sich langgezogene Buchten an der Westküste zwischen den Orten Ucuelet und Tofino aneinander. Fürs Schwimmen ist der raue Pazifik viel zu kalt. Und so verbringt man Stunden damit, einfach am Strand entlang zu wandern, die salzige Luft einzuatmen, auf Felsen oder angespülte Baumstämme zu klettern und das Getier in Ebbetümpel zu inspizieren. Beachcombing nennen die Kanadier das, also Strandkämmen.
Long Beach ist der längste Strand und das „Kernstück“ des Pacific Rim National Park. Er erstreckt sich über rund 16 Kilometer und ist von altem Treibholz übersäht. Dank der langen Wellen ist der Strand bei Surfern (im Neoprenanzug!) hoch im Kurs. Empfehlenswert ist ein Besuch im Wickaninnish Interpretive Center. Das Besucherzentrum informiert über den Nationalpark, das Ökosystem und die Kunst und Kultur der einheimischen First Nations. Am besten besorgt man sich hier einen Trail Guide, in dem die Wege von den Parkplätzen durch den Regenwald hinunter zu den verschiedenen Strandabschnitten verzeichnet sind.
Etwas weniger dramatisch, dafür ruhig und versteckt, sind die Buchten nördlich von Long Beach. Kurze Wanderwege führen über Holzplanken durch die üppige Vegetation zum Beispiel zur Schooner Cove oder zum schönen Chesterman Beach. Vom Aussichtspunkt Radar Hill bietet sich ein fantastischer Rundblick von der Küste bis ins gebirgige Hinterland.
Wanderwege

Die Highheels können getrost zu Hause bleiben: In Tofino ist der Wald der Catwalk. Warme Kleidung, Regenjacke, Regenhose und wasserdichte, knöchelhohe Wanderstiefel gehören unbedingt ins Gepäck. Denn die Westküste Vancouver Islands ist die regenreichste Region ganz Kanadas. An der Barriere der Westküstenberge fallen jährlich bis zu 3000 mm Niederschlag. Zum Vergleich: In Berlin fallen pro Jahr nur rund 500 mm. Interessanterweise trübt der Regen die Urlaubsfreude aber kein bisschen. Wald und Strand sind auch oder gerade bei Regen wunderschön. Und oft ist das Wetter in Tofino weit besser als sein Ruf.
Der Wald im Nationalpark wird völlig sich selbst überlassen. Markierte Wanderwege führen auf Holzstegen durch das einzigartige Ökosystem von Zedern, Sitkafichten, Küstenpinien, Hemlocktannen und Douglasien. Etwas sportlich sollte man schon sein, um zum Beispiel über verrottende Baumstämme zu klettern. Eine Karte mit allen Wanderwegen bekommt man bei seiner Unterkunft oder im Besucherzentrum des Nationalparks. Ein Muss ist der Rain Forest Trail, ein beschilderter Lehrpfad, der in zwei Rundwegen durch verschiedene Waldzonen führt. Der Shorepine Bog Trail führt den Besucher durch ein küstennahes Hochmoor.
Wer etwas mehr Abenteuer sucht, lässt sich mit dem Wassertaxi vom Pier in Tofino für ein paar Dollar nach Mears Island bringen. Die kleine Insel im Clayoquot Sound ist Heimat einiger bis zu 1500 Jahre alter Rotzedern, die zu den ältesten lebenden Pflanzen der Welt zählen. Hier führt der drei Kilometer lange Big Tree Trail durch dichten Regenwald und hüfthohen Farn zu den uralten Baumriesen. Achtung, das Ganze ist eine matschige Angelegenheit!
Ein ganz besonderes Erlebnis ist die Wanderung auf den Lone Cone, den zentralen Berg von Mears Island. Da sein Gipfel den Inselbewohnern vom Tla-o-qui-aht-Stamm heilig ist, benötigt man für den Aufstieg die Erlaubnis des Chiefs. Der Wassertaxi-Fahrer hilft dabei gerne weiter.
Surfen
Die Strände des Pacific Rim Nationalparkt, allen voran Long Beach, sind das beliebteste Surfrevier Kanadas. Den Surf-Pionieren der Sechziger Jahre hat Tofino seinen Hippie-Flair zu verdanken. Unerlässlich rollen die Wellen vom Pazifik an die Küste und bieten beste Bedingungen für Anfänger wie Profis. Ohne Neopren-Anzug mit Booties, Handschuhen und Kapuze geht allerdings nichts - das Wasser ist circa 10 Grad kalt. Wer seine ersten Surfversuche starten will, wendet sich am besten an eine der Surfschulen in Tofino, zum Beispiel an Surf Sister (nicht nur für Frauen). Unter Anleitung netter, mit engelsgeduld gesegneter Instructors nimmt man die ersten kleinen Wellen am Chesterman Beach.
Kayak- und Kanufahren

Die geschützte Bucht des Clayoquot Sound ist ein traumhaftes Revier für Kanu- und Kayakfahrer. Ungeübte Paddler sollten sich allerdings einer geführten Tour anschließen, denn durch die Gezeiten bilden sich immer wieder Strömungen. Zwei- bis siebenstündige Ausflüge bietet zum Beispiel Tofino Sea Kayaking. Von Tofino aus werden auch mehrtägige Kurse und Seekayak-Expeditionen angeboten. Abends werden dabei Zeltcamps auf unbewohnten Inseln aufgeschlagen und frischer Fisch auf dem Lagerfeuer gegrillt. Echte Abenteuerromantik!
Hot Springs
Ein besonderes Erlebnis ist ein Besuch der heißen Quellen im Maquinna Marine Provincial Park. Per Boot erreicht man Hot Springs Cove in rund 1,5 Stunden von Tofino. Vom Anlegesteg führt eine halbstündige Wanderung auf einem Plankenweg zu natürlichen Felsenpools mit 40 bis 50 Grad heißem Thermalwasser, die bei Flut teilweise überspült werden. Fürs Umziehen stehen ein paar Holzhütten bereit, Wasser und Snacks muss man selbst mitbringen. Der Ausflug ist lohnenswert, aber leider nicht ganz billig. Buchbar zum Beispiel bei Jamie's Whaling Station.
Storm Watching
Was macht der Tourist im Winter in Tofino? Ganz einfach: Storm Watching! Ursprünglich von den örtlichen Hotelliers als Marketing-Gag „erfunden“, um auch im stürmischen Winter Touristen nach Tofino zu locken, ist Storm Watching mittlerweile der große Renner. Dick eingepackt stapft man in Gummistiefeln an den Strand und trotzt den Elementen. Anschließend kuschelt man mit einem heißen Tee in der Hand am offenen Kamin und beobachtet vom Panoramafenster aus die tosende Brandung. Ganz großes Kino!